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Ingrid Hartlieb.

Dreifach ist der Schritt der Zeit 

(Vorwort zum gleichnamigen Ausstellungskatalog)

Besucht man Ingrid Hartlieb in ihrem Atelier in Haigerloch nahe Tübingen,
tritt man in ein Reich aus Holz: Holzpaletten stapeln sich am Boden, Holzplatten lehnen an der Wand, verschiedenste Objekte aus Holz bevölkern die große Halle — offene und geschlossene Formen, Quader, Trichter, Ringe.
Einige sind übermannsgroß; wuchtig und gewaltig ragen sie Richtung Hallendecke. Andere sind hüfthoch, tummeln sich in Gruppen, dicht an dicht. Nicht nur sichtbar greift das Holz um sich, sein Geruch liegt in der Luft. Mehr noch, die Werkhalle erscheint als hölzernes Biotop, ihre Wände und Decken heben und senken sich unmerklich mit jedem Atemzug ihrer Bewohner. Zwischendrin steht schweres Gerät, ein Gabelstapler parkt am Rand, ein Hubwagen steht im Weg, Werkzeuge liegen auf massiven Tischen mit Eisengestell.


Die Schöpfungen Ingrid Hartliebs sind „zarte Monumente“ (Verena Krieger).
Die Künstlerin bannt sinnliche Erfahrungen in Holz und Eisen und auch auf
Papier. Mit der sanften und feinfühligen Haptik des Ölkreidestifts beginnt
der Prozess. Mal in spontanen, mal in zielgerichteten Zügen bringt die Künstlerin ihre Ideen auf das Papier. Ein Teil dieser dicken schwarzen Linien kündigt Formen an, die ins Material, in die dritte Dimension drängen, wie Hartlieb es beschreibt. Alsbald wird nun gesägt und verleimt, bis Schicht für Schicht die Monumente erwachsen.


Ein kräftiger Ruck an der Anlasserschnur bringt die Motorsäge in Gang.
Gleichmäßig rumpelt und knattert die Maschine, der Geruch von Benzin und
Öl durchdringt die Luft. Ein Hebel wird gezogen, der Motor schreit, Späne
liegen, ein Dröhnen in der Halle erfüllt für Sekunden den kompletten Raum.
Was vorher mühsam mit der Hand zusammengesetzt wurde, erhält durch
die Motorsäge mit Leichtigkeit und doch gewaltsam eine neue Form. Während Lärm und Vibrieren langsam verklingen und nur noch der Motor monoton brummt, drängen im wechselnden Eindruck der Sinne ein Gefühl von Wald und der Geruch von Holz wieder in den Vordergrund. Nach Feinschliff, Polieren, sorgfältigem Auftrag von Wachs und dezentem Einsatz von Farbe lassen die Vertiefungen und Einschnitte im Holz das laute Schreien der Kettensäge nur noch erahnen. Das Wirken ihrer scharfen Zähne hingegen bleibt gut sichtbar und das Kettenblatt als Spur vorhanden — ein Sinnbild zugleich für Verletzungen der menschlichen Seele, die sich schließen und vernarben?


Nun liegen Ingrid Hartliebs Arbeiten in „verstreuten Serien“ (Paul Werling),
verteilt über drei Orte im Herzen der Stadt Jena. Archaische Formen aus
Holz bevölkern den Frommannschen Garten und den Botanischen Garten,
wo sie ästhetische „Probleme“ zwischen „Abstraktion und plastischem Raum“ (Fabian Reichel) eröffnen. Im Jenaer Kunstverein scheinen sich Zeichnungen aus Ölkreide mit ihren hölzernen „Entwachsungen“ über das „Verhältnis von Zeichnung und Plastik“ (László Rupp) zu unterhalten. Die wechselseitige „Bedingtheit von Zeitlichkeit und Materialität“ (Steven Ritter) ist in allen Arbeiten spürbar, besonders lässt sie sich aber an der titelgebenden Arbeit der Ausstellung festmachen. Das zentrale dreiteilige Werk — Dreifach ist der Schritt der Zeit — liegt, steht und hängt im Jenaer Kunstverein. Es verkörpert — frei nach Friedrich Schiller — Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in der Interpretation der Bildhauerin.


Die Ausstellung selbst ist ein Blick in die fernere und nähere Vergangenheit.
Sie ist „mit Fug und Recht als eine große Retrospektive“ zu bezeichnen, wie
die Kuratorin Verena Krieger über die Ausstellung sagt. Das Lebenswerk der
Künstlerin wird erhoben ins Hier und Jetzt, sichtbar gemacht für die
Zukunft. So gilt der größte Dank Ingrid Hartlieb — für die Bereitschaft zu
einem solch großen Unterfangen, für das Wagnis, den Außenraum mit diesen „zarten Monumenten“ zu bespielen, für die äußerst gelungene Zusammenarbeit und die großzügige Unterstützung des Projektes.

Um ein solches Mammutprojekt realisieren zu können, bedarf es vieler Menschen und ihrer Zusammenarbeit. In diesem Fall trugen der Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Jenaer Kunstverein e.V., Kunsthof Jena e.V. sowie der Botanische Garten der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur erfolgreichen Umsetzung der Werkschau bei.


Die Dokumentation und wissenschaftliche Aufarbeitung der Ausstellung in
Katalogform erarbeiteten Studierende des Studiengangs Kunstgeschichte & Filmwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter wohlwollender Begleitung von Prof. Dr. Verena Krieger, Dr. Elisabeth Fritz und Linn Burchert, M.A. Ihnen gilt besonderer Dank, vor allem für das entgegengebrachte Vertrauen in meine und unsere Arbeit. Schließlich darf ich die Autoren und Fotografen hervorheben, die mit ihren textlichen und bildlichen Beiträgen den vorliegenden Katalog ermöglicht haben. Für die Texte: Prof. Dr. Verena Krieger, Fabian Reichel, László Rupp, Paul Werling und Steven Ritter. Für die Fotos: Lea Malessa in Zusammenarbeit mit Robin Reich.


Zu guter Letzt sei erwähnt, dass die Ausstellung und der Katalog in ihrer
Gesamtheit und in allen Details nur dank der vielen kleinen und großen
Gefallen sowie der freundlichen Unterstützung der folgenden Menschen
realisiert werden konnten. Ihnen gilt mein herzlicher Dank:
Dr. Stefan Arndt, Thomas Bopp, Ilka Conradi, Jürgen Conradi, Conny Dietrich, Michael Ernst, Lutz Franke, Cosima Göpfert, Maria Making, Rebekka Marpert, Dirk Müller, Stefan Müller, Diana Nauhardt, Gerhard Pfeifer, Jens Riedel, Cathrin Ronneberger, Eberhard und Doris Scholz, Robert Sorg, Wolfram Stock, Anastasiia Taropchyna, Cornelia Tomoscheit, Rainer Wächter.

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